I. Scientology als ein theologisches System

Obwohl nicht alle Mitglieder der Scientology (wie durch die Unterhaltungen und zahlreichen Interviews, die ich durchführte, deutlich wird) glauben, dass es ein besonderes theologisches System in der Scientology gibt, existieren trotzdem mindestens zwei grundlegende formale Eigenschaften, die auf die Existenz eines theologischen Systems hindeuten. Die erste ist die Rolle des charismatischen Anführers bei der Etablierung der Kirche, die zweite ist das Vorhandensein einer entwickelten religiösen Doktrin und eines geheiligten Wissens mit einer esoterischen und einer allgemein verständlichen Komponente.

I.I. Der charismatische Anführer

Das Werk des Begründers, L. Ron Hubbard, ist die Grundlage für das Dogma und die Organisation der Scientology. Hubbards Werk ist der autoritative Text, an den man sich immer wendet und der ständig studiert wird. Aufgrund der internen Selbstbestimmung der Kirche kommt den Texten von Hubbard die Rolle einer heiligen Schrift zu – der Heilige Text. Der charismatische Anführer ist demzufolge der Autor des Haupttextes. Der zweite Grund, in Hubbard den charismatischen Anführer zu sehen, ist der Glaube der Mitglieder der Kirche, dass Hubbard der erste Mensch war, der den Weg zur wahren spirituellen Identität fand und beschritt. Alles, was in der nahen und fernen Zukunft zu tun bleibt, ist, Hubbards Weg und seine Erfahrung zu wiederholen, was für jeden erreichbar ist.

Es ist wichtig, einen grundlegenden Unterschied zwischen dem charismatischen Gründer der Bewegung und seinen Anhängern zu betonen. Für Hubbard wurde der Weg als Resultat seines eigenen Charismas geöffnet. Für die Anhänger ist dazu das intensive Studium mit der Anleitung der heiligen Schriften erforderlich.

Der Zweck der heiligen Schriften ist das Erreichen einer spirituellen Identität und die Veränderung der Selbsterkenntnis.

Der Zweck der heiligen Schriften ist das Erreichen einer spirituellen Identität und die Veränderung der Selbsterkenntnis. Es sollte betont werden, dass der Prozess des Erreichens neuer Ebenen der Selbsterkenntnis von Hubbard verfasst und im Detail festgelegt wurde. Wir meinen, dass es wichtig ist zu betonen, dass detaillierte Bestimmungen und Autorisierung von Verfahrensweisen eine wichtige Methode zur Verhinderung einer Spaltung ist. Das Tor zur Möglichkeit neuer Interpretationen der maßgebenden Texte wird in einer äußerst simplen, aber wirksamen Weise geschlossen. Es wird vorausgesetzt, dass die volle Wahrheit in Hubbards persönlicher Erfahrung gefunden wurde. Diese persönliche Erfahrung ist mit der Technologie des Erreichens einer wahren spirituellen Identität verbunden. Ungleich Hubbards einmaliger, einzigartiger Erfahrung (die als Vorlage dient) ist die Erfahrung anderer inhaltlich die Technologie, um das Niveau der Selbstidentifizierung einer Person zu verändern. Der Inhalt von Hubbards Erfahrung (im Sinne von Technologie) hat im Wesentlichen einen universellen und wiederholbaren Charakter. Der Zweck der Mission der Scientology Kirche ist es, jeder Person, die für sich selbst die innere Notwendigkeit erkennt, eine spirituelle Identität zu erreichen, eine Möglichkeit zu gewähren, den von Hubbard geöffneten Weg einzuschlagen.

Was sind die Hauptmerkmale des charismatischen Anführers der Scientology Bewegung, die die Grundlage liefern, ihn als einen religiösen Anführer zu betrachten?

Erstens hat der Begründer der Bewegung spirituelle Kernpunkte, spirituelles Wissen entdeckt, die jeden Menschen betreffen.

Zweitens hat der Begründer mit Hilfe dieses Wissens einen Weg zur persönlichen Erlösung entwickelt.

Drittens war das Wissen, das dem Führer gegeben wurde, vollständig, und irgendwelche Ergänzungen sind unmöglich: Alle Ergänzungen deformieren nur das Wissen und verwandeln es in schädliches Wissen. Hieraus geht die Notwendigkeit besonderer Überwachung hervor, um sicherzustellen, dass die Anweisungen des Gründers befolgt werden.

Viertens verwandelt die Kontiguität der persönlichen Erfahrung mit der Persönlichkeit des Gründers, die in Texten und Videoaufzeichnungen präsent ist, die innere Welt des Anhängers und seine Identität, und führt zu einer stabilen Erkenntnis des eigenen Selbsts als spirituelle und unsterbliche Quelle.

Fünftens kann der Begründer der Bewegung von niemandem ersetzt werden. Darum kann kein Mitglied der Scientology Kirche den Status eines Gründers für sich selbst beanspruchen und eine neue Version der Doktrin annehmen, selbst wenn es eine sehr hohe spirituelle Leistung erbracht hat. Niemand kann daher die Autorität und Macht des Gründers beanspruchen.

Sechstens ist auf der Grundlage der spirituellen Botschaft, die vom Begründer verfasst wurde, ein religiöser Orden errichtet worden, in dem der Platz eines Mitglieds in der Hierarchie ausschließlich von seiner/ihrer spirituellen Leistung und der Permanenz spiritueller Praktik im Orden abhängt.

Siebtens ist der Gottesdienst in der Scientology Kirche auf Zitaten aus den Texten des Begründers und den Zeugnissen derjenigen Mitglieder aufgebaut, denen die Kirche und die Werke des Begründers geholfen haben, ihr Leben zu ändern.

Daher kommt der Begründer der Bewegung, der charismatische Anführer, als ein Erlöser zu den Anhängern; der charismatische Anführer bietet volle individuelle und spirituelle Selbstverwirklichung. Mit anderen Worten ist der Anführer, der Begründer der Scientology, der Begründer der religiösen Doktrin und der religiösen Bewegung.

I.II. Scientology: Die religiöse Doktrin und das heilige Wissen

Mehrere fundamentale Themen der Scientology veranlassen uns, die Doktrin der Scientology als religiös zu betrachten. An erster Stelle: Spirituelles und ewiges Wesen ist das Konzept, mit dem sich ein Mensch identifizieren soll.

Das nächste Thema besteht aus der Geschichte oder einem einzelnen Ereignis (einer Katastrophe), das dazu geführt hat, dass eine Person ihre wahre Natur vergaß; d. h. das Thema der Sklaverei des wahren ewigen Selbst, entweder von Natur aus oder durch absichtliche böse Kräfte, das für eine religiöse Doktrin klassisch ist.

Materie, Energie, Raum und Zeit werden durch das machtvolle und ewige Selbst geschaffen, das sein Bewusstsein seiner Allmacht verloren hat und unter die Herrschaft seiner eigenen Schöpfungen gerät.

Laut einiger Zeugen ist das Vergessen des Selbst das Ergebnis der Aktivität und Kreativität des ewigen Selbst. Laut anderer (obskurerer) Zeugen war es das Ergebnis von persönlichem bösem Willen, der eine Katastrophe im größeren Teil des bewohnten Universums verursachte.

Wie dem auch sei, ob ein böser Wille fehlt oder ein böses Wesen präsent ist, haben wir das klassische Thema der religiösen Ontologie, mit dem Thema des Untergangs und Vergessens der früheren spirituellen Kraft einer Person, sowie das Vergessen der Katastrophe selbst.

Das Wissen über seine eigene unendliche Vergangenheit, über Ereignisse, die dem Einzelnen während seiner zahlreichen früheren Existenzen zustießen, ist nicht einfach Wissen. Es ist heiliges Wissen, das der Person ein Verständnis ihrer wahren Position im Kosmos zurückgibt und ihr während des Vorgangs der Bewusstwerdung über ihr früheres Unglück – bis hin zur Hauptkatastrophe von kosmischer Bedeutung – erlaubt, ein wahres Wissen über sich selbst wiederaufleben zu lassen. So ist das Wissen, das man in der Scientology durch langfristiges Studium und Bewusstsein seiner eigenen Vergangenheit erwirbt, Freiheit gebendes und erlösendes Wissen.

Heiliges Wissen verändert und verwandelt die Person, die dieses Wissen erhält. Man erreicht seine eigene Selbstidentifizierung nach der Zerstörung der Engramme, die Hindernisse in Form von falschem Wissen über sich selbst, d. h. falscher Identität, sind. Die Zerstörung innerer Hindernisse, die auf dem Weg zum Verständnis seines eigenen wahren ewigen Selbst liegen, erreicht man mit der Hilfe eines Auditors, jemandem, der zuhört (vom Lateinischen audire, zuhören), der zugleich Geistlicher und Hüter des Wegs zum heiligen Wissen ist. Die Technik der Fragen und Antworten beim Auditing erinnert an die traditionellen Prozeduren, heiliges Wissen zu gewinnen, die annehmen, dass der Schüler (oder Suchende) nur bis an die Schwelle des wahren Bewusstseins gebracht werden kann. Das Bewusstsein selbst und das Verständnis der wahren Natur der Dinge muss der Suchende auf selbständige Weise finden. (Ähnlichen Techniken zum Verständnis des wahren Selbst kann man in den „spirituellen Übungen“ des Ignatius von Loyola, in fernöstlichen spirituellen Schulen, im Zen Buddhismus – Koans – und in der chassidischen Geschichte begegnen.)

Die oben dargestellten Parallelen vermindern nicht den einzigartigen spirituellen Beitrag der Scientology zum Weltschatz spiritueller Erfahrung, sondern helfen uns dabei, erstens bezüglich der religiösen Basis der Scientology sicher zu sein, und zweitens das spirituelle Potential der Scientology nicht nur als einer religiösen Bewegung, sondern auch als eines religiösen Ordens zu sehen. Letzteres ist besonders wichtig, weil die Einrichtung einer Ordensstruktur eine mögliche Lösung für organisatorische oder für religiöse und aufklärerische Probleme ist. Der religiöse Orden, der nur als Lösung rein organisatorischer Probleme dient, existiert nicht lange, wie die Geschichte religiöser Bewegungen zeigt. Aber Orden, die um eine gut entwickelte spirituelle Bildungstechnologie herum gebildet wurden, sind ziemlich dauerhaft. Der Jesuitenorden kann als Beispiel angeführt werden – er wurde vom Begründer des Ordens, Ignatius von Loyola, um die „Praktik der spirituellen Übungen“ herum entwickelt. Die Fähigkeit des Ordens, zahlreiche praktische Probleme zu bewältigen, ist die Folge der spirituellen, religiösen Praktik. Die Grundlage der Stabilität des Jesuitenordens ist das richtige Befolgen der Technologie der „spirituellen Übungen“. In ähnlicher Weise hat der Kern des Ordens der Scientology Kirche Stabilität aufgrund der speziellen spirituellen Technologie des Auffindens des wahren Selbst, was der Mittelpunkt des religiösen Dogmas und des heiligen Wissens ist. Daher ist das Problem der Bewahrung des heiligen Wissens ein bedeutendes Element der Scientology Kirche.

II. Das Problem der Bewahrung des heiligen Wissens
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