II. Die Erfahrungen der „neuen“ Bewegungen

Wenn nach der Reformation abweichende Formen des christlichen Glaubens eine stabile Anhängerschaft gewannen und als neue religiöse Bewegungen in Erscheinung traten, begegnete ihnen fast immer extreme Intoleranz. Die Hutterer, ursprünglich in Tirol entstanden, wurden wiederholt gewaltsam niedergeschlagen und schrittweise gezwungen, quer durch Mitteleuropa von einer Ansiedlung zur nächsten zu fliehen. Die Quäker erlitten im späten 17. Jahrhundert ständige Drangsalierung und viele von ihnen wurden wegen ihres Glaubens inhaftiert. Die frühen Methodisten des 18. Jahrhunderts wurden häufig schikaniert und einige ihrer Kapellen niedergebrannt. Die örtlichen Ordnungskräfte und Magistrate waren nicht selten Teil solcher Nachstellungen, wobei sie den Pöbel zu Aktivitäten ermunterten und diese gesetzestreuen Glaubensbrüder eher als Täter sahen denn als Opfer. Im England des späten 19. Jahrhunderts hatten die frühen Anhänger der Heilsarmee ähnliche Feindseligkeiten zu erdulden. In einem einzigen Jahr wurden über 600 ihrer „Soldaten“ Opfer von Tätlichkeiten durch „Raufbolde“, die nach Überzeugung der Mitglieder der Heilsarmee von der einflussreichen Brauindustrie animiert wurden. Demgegenüber wurde innerhalb weniger Jahre eine ähnliche Zahl des Personals der Heilsarmee unter solch dubiosen Vorwürfen und vielleicht sogar Scheinanklagen wie des Blockierens von Fernstraßen inhaftiert. In der Schweiz wurden sie in den 1890er-Jahren wegen Betrugs und finanzieller Ausbeutung angeklagt. Diese Anklagepunkte waren denen ähnlich, die früher im selben Jahrhundert gegen die Missionare der Mormonen in Skandinavien vorgebracht worden waren.

Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Widerstand gegen einige neue Religionen in unterschiedlicher Form zum Ausdruck gebracht: Die Christliche Wissenschaft wurde erbittert angeprangert, sowohl wegen ihres Anspruchs auf Geistheilung als auch wegen ihrer Leugnung der Realität von Materie. Aber die Ächtung war vor allem literarischer Natur und reichte von der Satire eines Mark Twain bis zu dem ernsthaften Angriff des angesehenen Historikers H. A. L. Fisher, neben einer regelrechten Bibliothek feindseliger Kommentare von Geistlichen, Medizinern und, in mehr ironischer Form, dem Genre von Schmähschriften, Karikaturen und satirischen Romanen. Der Widerstand gegen die Zeugen Jehovas, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch als eine neue Bewegung angesehen wurden, wurde vielfach eher physisch ausgedrückt. In den USA wurden sie während des Zweiten Weltkriegs Opfer gewalttätiger Ausschreitungen, und einige wurden geteert und gefedert. Für die Weigerung, vor der Flagge zu salutieren und die Nationalhymne zu singen, wurden sie nicht nur in den Vereinigten Staaten verfolgt, sondern auch in so anders gearteten Ländern wie Malawi, und ihre Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen führte noch in den letzten Jahrzehnten zu Strafverfolgung in Frankreich, Spanien und Griechenland. In Quebec wurde diese im Allgemeinen gesetzestreue Sekte während der 1940er- und 50er-Jahre von Staatsanwälten der Regierung wegen einer ganzen Reihe angeblicher Rechtsverletzungen gnadenlos verfolgt. Diese Beispiele könnten beliebig fortgesetzt werden – sie dienen zur Illustration des fortgesetzten Auftretens religiöser Intoleranz und des ständig wiederkehrenden Widerstands gegen neu entstehende religiöse Organisationen und neue Konzepte der Religionsausübung.

All diesen Beispielen ist die Tatsache gemein, dass all diese ungerecht behandelten Sekten zu ihrer Zeit Bewegungen relativ neuer Minderheitsreligionen waren. Weil sie der einen oder anderen Vorschrift der etablierten Religion zu widersprechen beliebten oder sich entschieden, ihre eigenen Auffassungen des göttlichen Wesens, der Erlösung und der Gottesverehrung zu unterhalten, oder weil sie die Normen der zeitgenössischen weltlichen Gesellschaft herausforderten, wurden sie zum Ziel von Misstrauen und als Katalysator gesellschaftlicher Zerrüttung angesehen.

III. Gegenwärtige neue religiöse Bewegungen
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